Ein Kraftakt mit vielen Chancen
Was bedeutet die neue Berichtspflicht für die Nachhaltigkeitskommunikation in Unternehmen?
Das Thema Nachhaltigkeit spielt im Kommunikations-Mix von Unternehmen eine immer wichtigere Rolle. Das hat vor allem damit zu tun, dass große, kapitalmarktnahe Unternehmen vom Gesetzgeber verpflichtet sind, zu ihren Nachhaltigkeitsmaßnahmen Rede und Antwort zu stehen. Diese Berichtspflicht soll nun 2024 erweitert werden und gilt dann für das Berichtsjahr 2023. Sie könnte damit deutlich mehr Unternehmen in Deutschland treffen. Die Berichtspflicht kommt ab 2024 für das Berichtsjahr 2023. Das gilt für alle Unternehmen, die unter die oben beschriebenen Kriterien fallen. Dass diese Verpflichtung nicht nur eine Last, sondern eine echte Chance für Unternehmen und ihre Nachhaltigkeitskommunikation darstellt, ist vielen noch nicht klar.
Unser Experte für Nachhaltigkeitskommunikation, Dr. Michael Bürker hat nicht nur etliche Unternehmen dazu beraten, er hält inzwischen auch Seminare zu diesem Thema. Über seine Erfahrungen und Einschätzungen berichtet er in dieser neuen Interview-Reihe.
SCRIPT: Michael, zunächst die Hard Facts: Welche Unternehmen sind von der Erweiterung der Berichtspflicht demnächst betroffen?
Bislang galt die Berichtspflicht in erster Linie für kapitalmarktnahe Unternehmen, wie Banken und Finanzdienstleister. Da sprechen wir von rund 500 Firmen in Deutschland. Nun wird das Thema auf sämtliche Unternehmen ausgeweitet, die generell an den Märkten notiert sind, also auch auf große Teile des Mittelstands.
SCRIPT: Und welche genauen Voraussetzungen gelten, damit ein Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen muss?
Der Gesetzgeber hat drei Kriterien definiert, von denen zwei erfüllt sein müssen, damit die Berichtspflicht greift: eine Bilanzsumme von 20 Millionen Euro, 40 Millionen Euro Umsatz und mindestens 250 Beschäftigte. Bislang lag die Zahl bei 500 Beschäftigten. Man sieht also: Es wird einen immensen Zuwachs geben. Vorsichtige Schätzungen gehen von bis zu 15.000 Unternehmen aus, die neu von der Berichtspflicht betroffen sind.
SCRIPT: Gelten für diese Unternehmen dann die gleichen Standards wie für Betriebe, die heute schon berichten müssen?
Für kleine und mittelständische Unternehmen wird es wohl eine abgespeckte Version geben – also weniger und möglicherweise auch nicht ganz so strenge Kriterien. Definiert werden soll das bis zum Herbst 2023. Diese Unternehmen sind dann auch erst ab 2026 berichtspflichtig.
SCRIPT: Im Rahmen dieser Berichtspflicht taucht immer wieder der Begriff „Comply or Explain“ auf. Was hat es damit auf sich?
„Comply or Explain“ heißt „Mach es! Und wenn nicht, dann erkläre, warum.“ Damit will der Gesetzgeber vor allem Hintertürchen schließen und Unternehmen weniger Auswahlmöglichkeiten an die Hand geben, worüber sie berichten. Im Moment werden die genauen Kriterien noch verhandelt und voraussichtlich bis Mitte dieses Jahres verabschiedet und bekanntgegeben.
Im Grunde müssen Unternehmen dann zu allem, was ihre Branche betrifft, Position beziehen. Andernfalls müssen sie begründen, weshalb sie nicht darüber informieren. Dabei gilt die sogenannte „doppelte“ Materialität. Das heißt: Alle Einflüsse von außen, die die Nachhaltigkeit eines Unternehmens betreffen, sind genauso zu berücksichtigen, wie alle Auswirkungen seiner geschäftlichen Aktivitäten auf Aspekte der Nachhaltigkeit.
SCRIPT: Wenn die erweiterte Berichtspflicht erst in zwei Jahren kommt, warum sollen Firmen dann heute schon mit ihrer Nachhaltigkeitskommunikation starten?
Um ein Nachhaltigkeitsmanagement aufzubauen und einzuführen, brauchen Unternehmen Zeit. Sie müssen erst die entsprechenden organisatorischen Strukturen und Prozesse schaffen, Personal mit den nötigen Kompetenzen finden und ein funktionierendes Dokumentationswesen für den Nachhaltigkeitsbericht etablieren.
Das alles auf einmal zu realisieren, ist ein unglaublicher Kraftakt! Da ist es besser, sich über einen längeren Zeitraum Schritt für Schritt darauf vorzubereiten. Wer seinen ersten Nachhaltigkeitsbericht noch vor der Berichtspflicht realisiert, kann noch gewisse Freiheiten bei den Regularien ausnutzen. Und sich so nach und nach an das Thema heranarbeiten. Positiver Nebeneffekt: Wer jetzt startet, kann schon bald Quick Wins erzielen. Und man darf nicht vergessen, wer 2024 berichtspflichtig wird, muss bereits über das kommende Jahr 2023 berichten.
SCRIPT: Welche Quick Wins meinst du?
Wir wissen aus Interviews mit mittelständischen Unternehmern, die wir für die Nachhaltigkeitsstudie der HypoVereinsbank geführt haben, dass sich nachhaltiges Auftreten insbesondere bei den eigenen Mitarbeitenden stark positiv auf die Motivation und die Identifikation mit dem Unternehmen und dessen Strategie auswirkt. Aber auch nach außen, etwa bei der Mitarbeiter-Rekrutierung, zeigt sich meist rasch eine positive Wirkung. Wichtig ist, dass man nichts verspricht, was man nicht halten und belegen kann.
SCRIPT: Nachhaltigkeitskommunikation birgt also viele Chancen. Auch Risiken?
Das größte Risiko besteht in der neuen Transparenz, die durch die Berichtspflicht entsteht, zum Beispiel bei der Wettbewerbsfähigkeit. Viele Kunden achten heute verstärkt auf klimafreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellte Produkte. Sie werden sich unter Umständen immer für den Anbieter entscheiden, der sich am nachhaltigsten verhält.
Aber auch nach innen kann sich diese Vergleichbarkeit auswirken. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwarten heute immer mehr, dass ihr Arbeitgeber nachhaltig agiert. Das sehen wir auch auf dem Personalmarkt: Bewerbende fragen Unternehmen inzwischen standardmäßig danach, welche Maßnahmen zur Nachhaltigkeit unternommen werden, und machen davon ihre Entscheidung abhängig.
SCRIPT: Was denkst du – wie sieht das in Zukunft aus?
Man muss davon ausgehen, dass die Kriterien auch für kleine und mittlere Unternehmen im Laufe der Zeit erweitert und verschärft werden, wahrscheinlich bis sie den weltweiten GRI – Global Reporting Initiative – Standards entsprechen. Wer da nicht mitgeht, läuft Gefahr, irgendwann abgehängt zu werden und wird es schwer haben, den Vorsprung der anderen wieder aufzuholen. Vor allem, wenn Kunden und Investoren ihre Kauf- bzw. Investitionsentscheidungen mehr und mehr vom Aspekt der Nachhaltigkeit abhängig machen.
SCRIPT: Ist das in allen Bereichen der Fall?
Im Business-to-Business geht das aufgrund der zunehmenden Lieferketten-Transparenz mittlerweile sehr weit. Hier können es sich Zulieferer gar nicht mehr leisten, nicht nachhaltig zu sein. Bei öffentlichen Auftraggebern ist es oft eine zentrale Bedingung für die Auftragsvergabe. Dazu kommt, dass mit dem Lieferkettengesetz die Nachweispflicht nicht nur für das eigene Unternehmen, sondern für die gesamte Lieferkette verschärft wurde.
Und auch die Geldgeber, seien es die Banken als Kreditgeber oder auch Investoren, pochen verstärkt auf Nachhaltigkeit als Voraussetzung für ein Investment. Mit „Green Finance“ hat die EU inzwischen einen Rahmen geschaffen, der auch die Finanzierung nachhaltig gestalten soll. Für Unternehmen, die keinen Wert auf Nachhaltigkeit legen, wird es damit einfach teurer, an Geld zu kommen. Oder anders formuliert: Wer nachhaltig agiert, erhält günstigere Konditionen. Stichwort EU-Taxonomie. Und last but not least werden Anbieter erkennen, dass sie mit nachhaltigen Produkten auch höhere Preise erzielen und Kunden binden können.
SCRIPT: Bei den vielen bisherigen Nachhaltigkeitsberichten stehen vor allem ökologische Anstrengungen im Vordergrund. Nach „Environment“ sind die Kriterien in den beiden anderen ESG-Bereichen „Social“ und „Governance“ eher schwach repräsentiert. Woran liegt das? Müssen nicht alle drei Gebiete gleichermaßen abgedeckt werden?
Diese Unwucht in Richtung Ökologie ist wahrscheinlich vor allem den Fridays-for-Future-Demonstrationen, der damit verbundenen medialen Berichterstattung und der daraus entstandenen Sensibilität in Politik und Gesellschaft geschuldet. Aber sich klimafreundlich zu verhalten, bringt ja auch spürbare Kosteneffekte mit sich. Wer weniger Energie und Rohstoffe verbraucht, weniger CO2 ausstößt und mehr recycelt, spart bares Geld.
SCRIPT: Im Gegensatz dazu gibt es für die Bereiche „Social“ und „Governance“ keine richtig starke Lobby, obwohl Themen wie Gesundheitsschutz, Sicherheit und Diversität am Arbeitsplatz natürlich sehr wichtig sind. Und Governance?
Dieser Bereich spielt eine große Rolle, wenn man Nachhaltigkeit systematisch angehen möchte. Da braucht es entsprechende Strukturen und Prozesse, die von der Unternehmensführung verabschiedet werden müssen. Viele Firmen – vor allem in klassischen Mittelstand – haben hier im Moment noch großen Nachholbedarf. Ich persönlich glaube, dass alle drei Kriterien in einer gesunden Balance stehen müssen. Aufgrund der Dringlichkeit werden uns ökologische Themen aber noch eine ganze Weile intensiver beschäftigen, keine Frage.
SCRIPT: Hast du Einblick in die Stimmung der Unternehmen, die mit der Berichtspflicht neu konfrontiert werden?
Für die Nachhaltigkeitsstudie der HypoVereinsbank haben wir 2020 mit einer Reihe mittelständischer Unternehmerinnen und Unternehmer gesprochen. Viele spüren zwar den Druck durch ihre Kunden noch nicht so deutlich, gehen das Thema aber jetzt schon aus eigenem Antrieb an. Deshalb haben die meisten erst mal mit kleinen Projekten begonnen. Es ist zu bemerken, dass vor allem die Mitarbeitenden darauf sehr positiv reagieren, die Prozesse unterstützen und eigene Ideen einbringen. Das sind wirklich tolle Effekte.
Aber was vielen noch fehlt, ist ein systematischer Ansatz. Die meisten unterschätzen deutlich, was auf sie zukommt – in zeitlicher, personeller und finanzieller Hinsicht. Der gute Wille ist definitiv da. Und ich glaube, die meisten sind sich auch darüber im Klaren, dass sie deutlich mehr Schritte gehen müssen. Doch viele treibt die Sorge vor zu viel Bürokratie, vor zusätzlichen Regulierungen. Aber da wird das Rad nicht mehr zurückgedreht.
Fordern Sie jetzt eine Übersicht unserer Agentur-Leistungen in der Nachhaltigkeitskommunikation an.